Minnesang

Minnesang
Mịn|ne|sang 〈m.; -s; unz.; im MA〉 höfische Liebeslyrik

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Mịn|ne|sang, der [mhd. minnesanc] (Literaturwiss.):
höfische Liebeslyrik.

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Minnesang,
 
im eigentlichen Sinne die mittelhochdeutsche Liebeslyrik (Minnelyrik); manchmal werden auch undifferenziert alle Arten mittelhochdeutscher Lyrik als Minnesang bezeichnet. Der Minnesang entwickelte sich seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts; er bildete bis ins Spätmittelalter eine Fülle von Formen und Themen aus, die teilweise auf unterliterarische heimische Lyriktraditionen zurückgehen, teilweise von der lateinischen Vagantendichtung beeinflusst sind, v. a. aber auch Anregungen von den Troubadours und den Trouvères, gelegentlich auch von der antiken Liebeslyrik (Ovid) aufnehmen. Auch die frühmittelalterliche arabische Hoflyrik in Spanien und die seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts aufblühende Marienverehrung werden als Wurzeln des Minnesangs diskutiert. - Der Minnesang ist höfische Dichtung; er begleitete die Entstehung einer höfisch-ritterlichen Kultur unter den Stauferkaisern, war Gesellschaftsdichtung und wurde als solche an den Fürstenhöfen (z. B. in Wien und auf der Wartburg), bei offiziellen Anlässen, etwa bei Reichstagen (Mainzer Hoffest 1184), später auch in Städten (Basel, Zürich) von den Minnesängern (Minnesingern), die Dichter und Komponisten waren, in der Regel selbst vorgetragen. Unter ihnen finden sich Vertreter aller Stände: Adlige, Ministerialen, fahrende Berufsdichter (z. B. Walther von der Vogelweide) und in der Spätzeit auch Städter (z. B. J. Hadloub).
 
 
Die erste Phase bildete der so genannte »donauländische Minnesang« (etwa 1150/60-70), zu ihm zählen hauptsächlich im Donauraum auftretende Dichter wie der Kürenberger, Meinloh von Sevelingen, Dietmar von Aist. Ihre Lieder, deren formales Kennzeichen die Langzeile ist, handeln noch von wechselweisem Liebessehnen von Mann und Frau und sind Liebeslyrik in ungekünstelter Form. Für den eigentlichen Minnesang (zweite Phase; etwa 1170-1190/1200) ist der höfische Frauendienst (hohe Minne) typisch. Er erschien erstmals ausgeprägt bei den rheinischen, unter westlichem Einfluss stehenden Minnesängern um Friedrich von Hausen und Heinrich von Veldeke, weitere Vertreter waren u. a. Rudolf von Fenis und Bligger von Steinach. Die Liebenden begegnen sich nicht mehr als gleichberechtigte Partner, die Frau wird vielmehr zu einem für den Sänger unerreichbaren Ideal stilisiert. Sie ist die Herrin (»vrouwe«), die als Inbegriff des Weiblichen erscheint. Diese Art Minnesang ist nicht Erlebnis-, sondern Rollenlyrik, ästhetisches Spiel mit einem poetischen Formelschatz, was eine persönliche Betroffenheit des Dichters nicht ausschließt. Einer der prägenden Topoi ist die läuternde Macht der Minne als Dienst, die Bewährung von »triuwe« (Treue) und »stæte« (Beständigkeit), auch wenn das Werben nicht zum Ziel führt. Der Höhepunkt dieser kollektiven Leidenserotik wurde in der dritten Phase um 1190-1210 mit den Liedern Reinmars des Alten und Heinrichs von Morungen erreicht. Walther von der Vogelweide stellte dann die Hochstilisierung des Frauenbildes infrage und preist wiederum die nichtadlige Frau als Partnerin in der Figur des »frouwelins« und der »maget« (Mädchenlieder, Ideal der »herzeliebe«). Die Tagelieder Wolframs von Eschenbach, die den Abschied am Morgen nach heimlicher Liebesnacht schildern, münden in den Preis der ehelichen Liebe. Die Abkehr dieser beiden Dichter vom Ritual der »hohen Minne« leitete zur letzten Entwicklungsstufe des Minnesangs über, zur Phase seiner Parodierung und Persiflierung bei Neidhart von Reuental seit etwa 1210 und zur niederen Minne. Die Minnesänger des späteren 13. und des 14. Jahrhunderts beschränkten sich weitgehend darauf, die vorgegebenen Form- und Themenmuster zu variieren. Sie führten zum Teil die Tradition des hohen Minnesangs weiter (Burkhart von Hohenfels), oft durch äußerstes Formraffinement gesteigert (Gottfried von Neifen, Konrad von Würzburg), oder folgten Neidhart. Im 15. Jahrhundert wurde der Minnesang durch den Meistersang abgelöst. Eine individuelle Sonderstellung nimmt Oswald von Wolkenstein ein, den man als »letzten Minnesänger« bezeichnet hat.
 
Zur wichtigsten Strophenform des Minnesangs wurde nach dem Beginn mit einfachen Reimpaarstrophen und durchgereimten Strophen nach romanischem Vorbild die Stollen- oder Kanzonenstrophe (Kanzone). - Neben der Hauptgattung des Werbeliedes, insbesondere der Minneklage, finden sich am Anfang der Wechsel und Frauenklagen (Frauenstrophen), Frauenpreislieder, Tagelieder und Kreuzlieder, im 13. Jahrhundert Tanzlieder und Herbstlieder. Nach Anfängen im 12. Jahrhundert (Ulrich von Gutenburg, Heinrich von Rugge) wurde im 13. Jahrhundert der Leich besonders beliebt (Tannhäuser, Ulrich von Winterstetten u. a.). Der Minnesang ist Vortragskunst, die Lieder wurden prinzipiell gesungen, dienten seit dem 13. Jahrhundert aber auch als »Leselyrik«.
 
Überliefert ist der Minnesang in der Hauptsache in Handschriften aus dem Ende des 13. und dem 14. Jahrhundert (Liederhandschriften). Melodienaufzeichnungen zum Minnesang liegen erst seit dem 14. Jahrhundert vor, in größerer Zahl zu Texten von Neidhart von Reuental, Hugo von Montfort und Oswald von Wolkenstein. Wieder entdeckt wurde der Minnesang im 18. Jahrhundert; erste Ausgaben stammen von J. J. Bodmer. Nachgebildet wurden Themen des Minnesangs erstmals von J. W. L. Gleim (»Gedichte nach den Minnesingern«, 1773), Minnelieder zuerst übersetzt von L. Tieck (1803); die wissenschaftliche Beschäftigung setzte v. a. mit der kritischen Ausgabe der Werke Walthers von der Vogelweide durch K. Lachmann (1827) ein.
 
Ausgaben: Minnesingerische Deutsche Liederdichter des 12., 13. und 14. Jahrhunderts. .., herausgegeben von F. H. von der Hagen, 4 Bände (1838-61, Nachdruck 1963); Die Schweizer Minnesänger, herausgegeben von K. Bartsch (1886, Nachdruck 1964); Die mittelhochdeutsche Minnelyrik, herausgegeben von G. Schweikle, Band 1: Die frühe Minnelyrik (1977); Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts, herausgegeben von C. von Kraus, 2 Bände (21978); Minnesang. Mittelhochdeutsche Texte mit Übertragungen..., herausgegeben von H. Brackert (1983); Des Minnesangs Frühling, herausgegeben von H. Moser u. a., Band 1 (381988); Deutsche Lyrik des Mittelalters, herausgegeben von M. Wehrli (71988).
 
 
H. Tervooren: Bibliogr. zum M. u. zu den Dichtern aus »Des M. Frühling« (1969);
 
Der dt. M., hg. v. H. Fromm, 2 Bde. (1-51972-85);
 I. Kasten: Frauendienst bei Trobadors u. Minnesängern im 12. Jh. (1986);
 M. Eikelmann: Denkformen im M. (1988);
 G. Schweikle: M. (1989);
 G. Schweikle: M. in neuer Sicht (1994);
 B. A. Weil: Die Rezeption des M.s in Dtl. seit dem 15. Jh. (1991);
 B. A. Weil: Der dt. Minnesang. Entstehung u. Begriffsdeutung (1993).

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Mịn|ne|sang, der [mhd. minnesanc] (Literaturw.): höfische Liebeslyrik.

Universal-Lexikon. 2012.

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